Katastrophenschutz neu denken
icon.crdate20.08.2024
Überblick über die Wiederbelebung des Katastrophenschutzes und Neuaufstellung der Bergwacht
Überblick über die Wiederbelebung des Katastrophenschutzes und Neuaufstellung der Bergwacht.
Wir leben in Zeiten des Umbruchs.Deutschland erlebt eine Zeitenwende und stellt sich sicherheitspolitisch neu auf. Mit einem Sondervermögen in Höhe von 100 Milliarden Euro möchte die Bundesregierung einen ersten Schritt hin zu einer Bundeswehr machen, die ihren Auftrag im Bereich der Landes- und Bündnisverteidigung auch praktisch erfüllen kann. Parallel dazu erfährt der Zivilschutz eine neue Aufmerksamkeit, ebenso wie weitere Fragen der Krisenfestigkeit und Wehrhaftigkeit insgesamt. Und der Blick in die Welt zeigt: Diese Wiederbelebung fundamentaler staatlicher Vorsorge tut dringend Not. Gleiches gilt für den Katastrophenschutz, der seit dem Ende des Kalten Kriegs und spätestens seit Aussetzung der Wehrpflicht in vielerlei Hinsicht nur noch ein Schattendasein gefristet hat. Strukturen wurden abgebaut, Fahrzeuge und Technik nicht mehr ersatzbeschafft und Notwendigkeiten zur Vorsorge ganz grundsätzlich in Frage gestellt. Das gilt auch innerhalb der Bergwacht Schwarzwald, zu deren satzungsgemäßen Aufgaben der Katastrophenschutz gehört. Häufiger und extremer werdende Unwetterlagen, die Coronapandemie, die Gefahr einer Energiemangellage und spätestens die tragischen Ereignisse im Ahrtal haben uns jedoch vor Augen geführt, dass der Katastrophenschutz zügig und umfangreich neu aufgestellt werden muss. Ein „das konnte in dieser Form niemand kommen sehen“ wird künftig als entschuldigende Erklärung der verantwortlichen Akteure nicht mehr akzeptiert.
Leistungsspektrum des Fachdienstes Bergrettung
Die Bergwacht Schwarzwald hat sich deshalb 2021 auf verschiedenen Ebenen auf den Weg gemacht, die Defizite zeitnah zu beheben und ihre Schlagkraft im Katastrophenschutz deutlich zu erhöhen. Aufbauend auf der Benennung eines eigenständigen Fachdienstes Bergrettung im Katastrophenschutzdienst des Landes Baden-Württemberg wurden die operativen Kompetenzen der Bergwacht Schwarzwald und der DRK-Bergwacht Württemberg in Form eines gemeinsamen Verbands zusammengeführt, neu strukturiert und in insgesamt sechs Züge gegliedert.
Die drei Züge Bergrettung stehen für medizinische Versorgungen und Menschenrettungen in unwegsamem Gelände, luftgebundene Rettungseinsätze und Evakuierungen aus schwer erreichbaren Gebieten zur Verfügung. Zu ihnen gehören unter anderem die Rettungsspezialisten Helikopter (RSH), die bei Rettungsaktionen mit dem Hubschrauber über Land und über Wasser zum Einsatz kommen. Die zwei Züge Lageerkundung übernehmen die Lokalisation, Kommunikation, Lagedarstellung und Dokumentation in zerstörten oder nur schwer erreichbaren Gebieten und fungieren damit als schneller, mobiler, kompakter und spezialisierter Unterstützer der Einsatzleitungen. Der Zug Führung und Logistik ergänzt den insgesamt rund 160 Einsatzkräfte starken Verband um Spezialmodule zur Führung, Lageerkundung, Aufbereitung und Darstellung von Daten sowie Transport und Logistik. Alle Züge verbindet dabei, dass sie mit geringer Vorlaufzeit in den Einsatz gebracht und aufgrund ihrer hohen Mobilität und Autarkie an ganz unterschiedlichen Orten eingesetzt werden können. Der mehrwöchige Einsatz im Ahrtal, wo die Einheiten der Bergwacht zusammen mit der Mobilen Führungsunterstützung (MoFüSt) der Berufsfeuerwehren gearbeitet hat, hat dies erfolgreich bestätigt.
Investitionen in die Zukunft
Zur technischen Ausstattung des Katastrophenschutzes hat das Land Baden-Württemberg mit einem Sonderprogramm im Umfang von 25 Millionen Euro einen ersten Schritt gemacht, um den enormen Investitionsstau aufzulösen. Der Fachdienst Bergrettung wird hierbei mit Gerätewagen Logistik, Führungsfahrzeugen und sogenannten LKLD-Fahrzeugen (Lokalisation, Kommunikation, Lagedarstellung und Dokumentation) mehrere Spezialfahrzeuge erhalten, mit denen eine wichtige Kompetenzlücke geschlossen werden kann. Die übrigen Fahrzeuge des Verbands werden aus dem bestehenden Fuhrpark der Bergwacht gestellt.
Mindestens ebenso bedeutend wie funktionale Technik sind die personellen Kapazitäten. Sehr gut ausgebildete, trainierte und motivierte Einsatzkräfte in ausreichender Zahl sind die Voraussetzung für einen schlagkräftigen Katastrophenschutz. Hier liegt angesichts der steigenden Anforderungen und sich verändernder gesellschaftlicher Vorstellungen von Ehrenamt eine besondere Herausforderung. Die Bergwacht hält dabei an ihrem Grundsatz fest und setzt auf einen hohen Anspruch, der die Einsatzkräfte fordert, gleichzeitig aber auch hochwertige Einsatzoptionen eröffnet. So werden im laufenden Jahr zahlreiche Führungskräfte für die Katastrophenschutzzüge ausgebildet und die Qualifikationen der spezialisierten Module, insbesondere im Bereich LKLD, vertieft. Darüber hinaus werden die organisatorischen und planerischen Vorbereitungen für Großschadensfälle ausgeweitet. Dazu zählen zum Beispiel Konzeptionen für autarkes Arbeiten der Einheiten und Vorkehrungen zur Steigerung der Resilienz aller Bergrettungseinrichtungen auf der Fläche.
Gemeinsam stark
Diese umfangreiche Neuaufstellung auf verschiedenen Ebenen muss durch eine insgesamt neue oder zumindest vertiefte Grundhaltung aller Akteure im Katastrophenschutz begleitet werden, die vor allem auf zwei Erkenntnissen aufbauen muss: Erstens müssen wir uns auf deutlich mehr und komplexere Lagen vorbereiten, als bis vor einigen Jahren gedacht. Zweitens müssen wir verinnerlichen, dass komplexe Lagen nur im Verbund vieler gut eingespielter Partner bewältigt werden können, die sich fachdienstübergreifend mit ihren jeweiligen Spezialkompetenzen ergänzen. Das gilt landesweit, national und zunehmend auch im europäischen Verbund. Vor diesem Hintergrund bringt sich die Bergwacht intensiv in interdisziplinären Austauschformaten ein und pflegt die engen Kontakte zu Einsatzpartnern und Behörden. Im Rahmen einer Leistungsschau wurden den Vertreterinnen und Vertretern der unteren und höheren Katastrophenschutzbehörden im Mai 2024 beispielsweise die Einsatzmöglichkeiten der Bergwacht vorgestellt. Als Organisation, deren Einheiten stets über Gemeindegrenzen hinaus aufgestellt sind, ist der Bergwacht besonders an einer engen Zusammenarbeit mit den Landratsämtern und Regierungspräsidien gelegen. Gleiches gilt für die Zusammenarbeit mit der Bundeswehr. Zusammen mit dem Landeskommando Baden-Württemberg wird die Zivil-Militärische Zusammenarbeit (ZMZ) intensiviert. Bei einem großen Symposium im Herbst 2024 werden diesbezügliche Themen mit allen involvierten Akteuren diskutiert und Weichen für eine noch höhere Leistungsfähigkeit gestellt.
Bei Veranstaltungen des Landes Baden-Württemberg in den Landesvertretungen in Berlin und Brüssel wurden die Möglichkeiten des EU-Katastrophenschutzverfahrens mit hochrangigen Vertretern erörtert und Hintergründe der EU-Übung „Magnitude“ besprochen. Bei dieser sogenannten Full-Exercise-Übung im Regierungsbezirk Karlsruhe, um die sich Baden-Württemberg erfolgreich bei der Europäischen Union beworben hat, werden Katastrophenschutzeinheiten aus Griechenland, Österreich, Frankreich und der Schweiz im Oktober das Szenario eines Erdbebens beüben. Die Bergwacht wird dabei insbesondere in den Bereichen Lageerkundung und Windenrettung mit Hubschraubern tätig sein. Zudem begleiten Vertreter der Bergwacht die Planungsarbeiten und Stabsrahmenübungen, die bereits seit Jahresbeginn laufen. Die durchaus anspruchsvolle EU-Übung Magnitude leistet somit einen wichtigen Beitrag zur Neuaufstellung im Katastrophenschutz, zur Zusammenführung der verschiedenen Einsatzpartner und zur notwendigen Erweiterung des Planungs- und Denkhorizonts.
Der Wert von Sicherheit
Die Bergwacht Schwarzwald nimmt all diese Aufgaben mit Verantwortung und Professionalität an. Die ehrenamtlichen Bergretterinnen und Bergretter leisten damit über den täglichen Rettungsdienst hinaus einen wichtigen Beitrag zur Krisenfestigkeit unseres Landes. Dieser Einsatz darf aber keine Einbahnstraße sein: Angesichts der so vielfältig veränderten Lage müssen auch die politischen Prioritäten entsprechend angepasst werden. Sicherheit ist die Voraussetzung für Freiheit und ein gutes Leben, deshalb muss uns Sicherheit wieder deutlich mehr wert sein. Der in Baden-Württemberg eingeschlagene Weg der vergangenen Jahre muss hierbei konsequent fortgesetzt und verstärkt werden. Das gilt für planerische und konzeptionelle Aufgaben ebenso wie für eine der aktuellen Dringlichkeit und Notwendigkeit angepasste finanzielle Ausstattung. Der Doppelhaushalt 2025/2026 des Landes wird dabei ein wichtiger Praxistest sein.
Text: Adrian Probst